Sabine, die aufgrund ihres Lungenkrebses palliativ behandelt wird, gibt in dieser Podcast-Folge wertvolle Einblicke in ihr Leben mit der unheilbaren Erkrankung, ihre Prognose und Lebensqualität dank zielgerichteter Therapie. Wie sie sich mit dem Thema Tod auseinandergesetzt hat und welche Ratschläge sie Betroffenen und Angehörigen gibt, erzählt sie in dieser Folge.
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(00:00 – 00:47) Anmoderation der Folge.
(00:00 - 02:43) Sabine stellt sich vor und erzählt von ihrer Lungenkrebs-Diagnose.
(02:43 – 07:31) Ab jetzt „palliative Behandlung“?! – Sabines Prognose und erste Gedanken.
(07:31 – 09:55) Sabines Therapieentscheidung, ihr Krankheitsverlauf und die späte Tumortestung.
(09:55 – 11:28) Relativ normal: Sabines berufliche Situation und Lebensqualität unter der Therapie.
(11:28 – 12:13) Erstdiagnose: Über Schwarzmalerei der Mitmenschen und Sabines Bewältigung.
(12:13 – 13:14) Eine einschneidende Diagnose als Gelegenheit zur Veränderung.
(13:14 – 16:59) Über den Umgang mit Ängsten und „mehr Zukunft“ durch die zielgerichtete Therapie.
(16:59 – 19:17) Vorbereitung auf den Tod – Sabines Weg.
(19:17 – 21:57) Sabines Besuch einer Palliativstation und ihre Eindrücke.
(21:57 – 23:42) Selbstbestimmt abhaken – Sabines Rat zur Vorbereitung auf den Lebensabend.
(23:42 – 26:46) Palliativversorgung vs. Hospiz – worin unterscheiden sie sich und wer zahlt?
(26:46 – 29:28) Unheilbar, aber stabil – Sabines aktuelles Leben als Palliativpatientin.
(29:28 – 33:05) Sabines Erkenntnisse, Tipps und Wünsche zum Tabuthema Tod.
(33:05 – 34:58) Abmoderation der Folge.
Lars [00:00:00] Herzlich Willkommen zu „Mein Krebsratgeber zum Hören“. Mein Name ist Lars Schmidtke und gemeinsam mit meinen Gästen sprechen wir offen und ehrlich über Krebs und das Leben mit Krebs. Hören Sie rein, wenn Sie persönliche Geschichten aber auch Expertenrat zum Umgang mit der Erkrankung erfahren möchten. Unser Podcast ist ein Podcast mit Betroffenen, für Betroffene.
Lars [00:00:24] Für die heutige Folge habe ich Sabine zu Gast, mit der ich gemeinsam über ein sehr wichtiges und emotionales Thema sprechen möchte. Es geht um die Auseinandersetzung mit dem Tod, wenn man Krebs hat. Sabine, erstmal hallo. Schön, dass Sie dabei sind.
Sabine [00:00:40] Hallo, ja, schön, dass ich da sein darf.
Lars [00:00:43] Vielen herzlichen Dank, dass Sie heute hier sind und Ihre Geschichte mit uns teilen möchten. Sabine, dann würde ich sagen, stellen Sie sich doch mal kurz vor.
Sabine [00:00:51] Ich bin 47 Jahre alt, ich arbeite im Verlagswesen und ich bin Lungenkrebspatientin mit einer spezifischen Treibermutation und werde aktuell zielgerichtet therapiert.
Lars [00:01:04] Wann und wie haben Sie von Ihrer Diagnose Lungenkrebs erfahren?
Sabine [00:01:07] Ich war damals 42, das war im Februar 2017, und ich habe damals als Symptom nur gemerkt, dass ich beim Sport weniger Luft bekomme, dass ich kurzatmig bin, und dass die Kraft da ist, aber ich nicht fit bin und irgendwas nicht stimmt. Das ist fatal, weil Lungenkrebs wird ja oft zum Rauchen assoziiert und ist mit einem Stigma behaftet. Es gibt aber auch Patienten, die nicht geraucht haben und sehr viel jünger sind, und da denkt keiner an Lungenkrebs, ja, das rutscht oft durch. Das haben Leute nicht auf dem Schirm, dass der, der Lungen hat, auch Lungenkrebs bekommen kann. So war das bei mir dann im weiteren Untersuchungsverlauf ein Zufallsbefund eigentlich. Ich war wegen was ganz anderem im Krankenhaus und man hat dann festgestellt, dass die Lymphknoten alle geschwollen sind und hat da schon gesagt, Verdacht auf Lymphom. Da stand zum allerersten Mal eine Krebsdiagnose im Raum und dann wurde ich auf links gedreht sozusagen, zwei Wochen lang, und man ist dem nachgegangen und hat eine Reihe von Untersuchungen durchgeführt. Am Ende kam dann tatsächlich diese Schockdiagnose raus, Lungenkrebs, und zwar ein nicht-kleinzelliger Lungenkrebs und das auch noch im Stadium 4. Also das heißt nicht operabel und nicht heilbar.
Lars [00:02:33] Das Ganze ist jetzt 4 Jahre her, fast 4 Jahre.
Sabine [00:02:39] Fast 5, fast sogar 5, ja.
Lars [00:02:41] Fast 5 Jahre. Ganz ehrlich, Sie geben natürlich ganz vielen Betroffenen ganz viel Mut, dass man so lange und auch so gut mit so einer Erkrankung leben kann, aber ich gehe jetzt nochmal ganz zurück zu dem Moment Ihrer Diagnose, Sabine. Ich stelle mir also vor ich bekomme gesagt, dass ich Lungenkrebs habe mit einer sehr schlechten Prognose und nur noch begrenzt behandelt werden kann. Und dann stand da ja wahrscheinlich irgendwann das Wort, Sie haben es ja gerade selbst gesagt, das Wort „palliative“ Behandlung im Raum. Das bedeutet ja nichts anderes, als dass es keine Heilung gibt, sondern es ist eine reine Symptomlinderung, um ihre Lebensqualität zu verbessern. Was hat das in Ihnen ausgelöst und wie sind Sie damit umgegangen, Sabine?
Sabine [00:03:24] Also erstmal, wenn man das so bekommt, diese Diagnose…
Lars [00:03:28] Wo war das? Also Sie waren im Krankenzimmer oder sind Sie zum Arzt gegangen?
Sabine [00:03:34] Ich war im Krankenhaus und der hat mich dann reingeholt sozusagen, also mit Kaffeetasse in der Hand, in sein Arztzimmer, und ich habe schon am Blick gesehen, das ist nicht gut. Ich muss dazu sagen, dass wir zwei Jahre davor einen Todesfall in der Familie hatten, auch Krebs, und es ist mir noch sehr in den Knochen gesteckt. Insofern war mir das aber auch sofort klar. Ich habe „palliative Chemo“ gehört und ich wusste sofort, okay, keine Heilung möglich und man muss halt gucken, wie lange das geht. Das löst natürlich erstmal diese Ohnmacht aus und wenn man in dieser Situation ist, man ist in diesem Zimmer, rauscht es schon ziemlich vorbei. Ich habe schon viel mitbekommen. Ich habe immer in der gesamten Therapie, als Tipp für Betroffene, einen Block mit Stift dabeigehabt, und habe mir alle Fragen notiert, alles was mir aufgefallen ist, und auch da in der Situation.
Lars [00:04:33] Als sie dort saßen?
Sabine [00:04:35] Ja, und da ist eigentlich ganz gut, wenn Ärzte noch mal einen zweiten Termin ausmachen würden, bis sich alles gesetzt hat. Weil das ist einfach in dem Ding ein Schock, weil man natürlich mit einem, ich sag immer als Bild, wie mit einem D-Zug...
Lars [00:04:46] Man kann nichts sagen, oder?
Sabine [00:04:48] Doch, ich konnte schon was sagen. Ich habe dann schon auch gefragt wie das mit Nebenwirkungen und Dosierungen und ich habe schon agiert. Aber vom Gefühl ist es, man ist 42 und man fährt einem mit einem D-Zug gegen einen Berg, knallt dagegen, weil es die Zukunft auflöst. Die Rente ist weg, man hat diese Perspektive nicht, und es schrumpft alles zusammen auf, wie auch immer, wie viele Monate oder ein Jahr. Das ist ja undefinierbar.
Lars [00:05:17] Was hat man Ihnen gesagt?
Sabine [00:05:21] Man hat das nicht wirklich ausgesprochen, aber es ist mal so 12 Monate gefallen und wenn man damals geschaut hat, das ist ja jetzt auch schon fast fünf Jahre her, da hat sich von der Therapie sehr viel getan und damals hatten Sie beim 5-Jahres-Überleben 1% und mit Chemo so ungefähr 10 bis 12 Monate. Immuntherapien gab es schon, waren aber noch nicht in der ersten Linie zugelassen.
Lars [00:05:48] Was heißt das in der Erstlinie?
Sabine [00:05:51] Die erste Therapie, die sie bekommen, also das erste Medikament, oder wie sie behandelt werden. Das ist die erste Linie, und da war für mich in dieser Situation damals eben nur eine Chemotherapie möglich und da hatte ich tatsächlich überlegt, macht das Sinn, wenn man nicht weiß, ob das überhaupt was bringt. Gerade jetzt im soliden Tumor ist es mit Chemotherapie schlecht zu behandeln, weil immer Stammzellen übrigbleiben. Sie können in der palliativen Situation das nur irgendwie hoffen, dass sie es stabil halten. Im besten Fall schrumpft es, aber es ist auch eine Möglichkeit, dass es gar nicht anspricht und in der Situation habe ich schon überlegt, soll ich das machen oder nicht
Lars [00:06:32] Machen Sie es, oder machen Sie es nicht, mhm.
Sabine [00:06:36] Ja, das ist grundsätzlich, finde ich, in der palliativen Therapie eine Sache, die man sich überlegen muss. Welche Therapien möchte ich, was ist sinnvoll, wo sage ich, ich lasse das jetzt mit Therapien und gehe die Best Supportive Care, also wo nehme ich einen Palliativdienst in Anspruch, der mich anders einstellt, der Schmerzen nimmt zum Beispiel. Das ist eine Abwägungssache, je nach Situation. Ich habe mich dann damals doch dafür entschieden, weil ich sehr fit war.
Lars [00:07:05] Diese palliative Chemotherapie zu machen?
Sabine [00:07:08] Genau, weil ich sehr fit war. Ich war sportlich und habe dann doch gedacht, na okay, ich versuche es, weil vielleicht im Anschluss doch, man weiß es nicht, man steckt bei Krebs ja nie drinnen, wie lange der individuelle Patient dann wirklich mit einer Therapie leben kann. Die Hoffnung war Immuntherapie und vielleicht ist was anderes dann zu einem späteren Zeitpunkt möglich.
Sabine [00:07:31] Und was auch wichtig ist, ich habe einen nicht-kleinzelligen Lungentumor, und da ist eine molekulare Diagnostik sehr, sehr wichtig oder überhaupt die Testung, unabhängig von Rauchhistorie. Die Testung wurde bei mir zwar gemacht, keine Molekulardiagnostik, es wurde auf Treibermutationen getestet, aber das hat nicht hingehauen, da ist was schiefgelaufen. Und der Plan war ursprünglich, aus der Chemo auszusteigen, falls eine Mutation auftaucht. Da hat nicht hingehauen, das ist schiefgelaufen. Ich bin dann in der Chemotherapie geblieben und später mit Erhaltungschemo, als ich 2 Jahre später einen Progress hatte, da hatte ich mittlerweile auch das Krankenhaus gewechselt und bin in eine Tagesklinik, also zu einer niedergelassenen Ärztin.
Lars [00:08:24] Wie lange ging diese Chemo am Anfang? Wie lange ging das insgesamt, der Zeitraum dann?
Sabine [00:08:27] 6 Zyklen. Ein halbes Jahr.
Lars [00:08:29] Ein halbes Jahr, mhm.
Sabine [00:08:30] Halbes Jahr, genau. Und dann die Erhaltungschemo eineinhalb Jahre, dann Progress und dann habe ich auf eine erneute Testung, also erneute Biopsie, in Eigeninitiative gedrungen, habe das auch durchgesetzt. Es gibt das „Nationale Netzwerk Genomische Medizin – Lungenkrebs“ in Deutschland, die hier Standards haben und...
Lars [00:08:52] Und da haben Sie sich, also, wer hat sie unterstützen in dieser ganzen Zeit? Wo haben Sie ihr Wissen her? Wer hat Ihnen dabei geholfen?
Sabine [00:09:00] Ich habe mir das selber angeeignet. Ich habe ja gut seriöse Quellen genommen, Lungenkrebsinformationsdienste. Ich habe mir eine Zweitmeinung eingeholt, ich habe auf der NGM-Website, dem Netzwerk, auch geschaut und bin dann diesen Hinweisen nachgegangen. Also Patient:innen, die zielgerichtet therapiert werden, sind 20 Jahre jünger, haben oft eine Nichtraucher-Historie. Ich bin dem nachgegangen und bin dann für mich selber eingestanden und habe gesagt ich möchte nochmal eine Biopsie.
Lars [00:09:32] Also quasi nach 2 Jahren dann diese Biopsie.
Sabine [00:09:35] Genau, und die Testung, molekulare Diagnostik. Dann kam eben eine Treibermutation raus und ich kann seitdem zielgerichtet behandelt werden mit Tabletten. Die haben natürlich auch Nebenwirkungen, aber es ist eine ganz andere Situation. Chemo ist viel belastender.
Lars [00:09:55] Wie waren diese 2 Jahre? Wie war Ihre Lebensqualität?
Sabine [00:09:58] Super!
Lars [00:09:58] Ja? Also von 2017 und Sie haben dann mit der Chemo angefangen. Wie war das? Ertragbar?
Saine [00:10:04] Ja, ja, ich habe das sehr gut weggesteckt. Also man muss jetzt mal sagen, ich habe sehr viel Sport gemacht. Sport wirkt auch wie ein Medikament.
Lars [00:10:12] Also Fahrradfahren, schwimmen, oder was? Was war ihr Sport?
Sabine [00:10:15] Ich bin gewandert. Walking, wandern, bewegen, Radfahren und ich habe die Chemo so gut vertragen. Ich war um die Chemo krankgeschrieben, immer so fünf Tage, und am 6. Tag war ich wieder im Büro.
Lars [00:10:32] Sie haben gearbeitet.
Sabine [00:10:33] Mhm, also ich bin gar nicht zu Hause geblieben, länger jetzt. Ich bin für das halbe Jahr nicht ausgefallen, sondern ich habe tatsächlich durchgearbeitet. Es ging gut, und das ist auch sowas, wir haben ja auch im Vorfeld gesprochen mit dem Thema palliativ, also man denkt oft, man ist Palliativpatient und dann geht es gleich ums Sterben und man braucht sofort Unterstützung und Schmerzmittel und dann in drei Monaten ist alles vorbei. Mit neuen Therapien, oder auch je nachdem wie man es selber verträgt, oder auch jetzt mit zielgerichteter Therapie. Ich lebe schon seit fünf Jahren in einer palliativen Situation und hatte trotz allem einen normalen Alltag und mache Sport, gehe arbeiten und habe einen ganz normalen Alltag. Also klar, ich bin nicht mehr so leistungsfähig wie früher, ja, das ist richtig, aber trotzdem ist alles relativ normal und das ändert sich auch. Ich fand das sehr, sehr schwierig, tatsächlich sehr belastend in dieser Erstdiagnosesituation, weil alle so „Ich muss jetzt, ich würde“…
Lars [00:11:36] Ihnen ist der Boden weggerissen worden, so hört sich das an.
Sabine [00:11:40] Ja, aber auch von Arztseite oder von dem wie man mit mir umgegangen ist. So dieses ich muss jetzt in Würde das und das tun und ich soll bloß nicht mehr arbeiten und bloß nicht U-Bahn fahren. Ich meine gut, Chemo ist immunsupprimierend, das ist alles klar, aber ich hatte so dieses Gefühl, nein, ich will weiter teilhaben, ich will weiter verbunden bleiben, ich will weiter Alltag und ich will weiter Normalität.
Lars [00:12:04] Hat Ihnen diese Strategie geholfen, der Bewältigung, der Chemotherapie und all das, was noch kam und kommt?
Sabine [00:12:10] Ja, natürlich, natürlich. Also das ist auch wichtig. Grundsätzlich, wenn Sie so eine Diagnose bekommen, das ist so ein Punkt, das ist wahnsinnig einschneidend. Sie sind in der Existenz bedroht, ja, und es ist eine gute Möglichkeit, um zu schauen, was ist bisher nicht gut gelaufen, was belastet mich, was stört mich, was kann ich anders machen. Weil wenn nicht jetzt, wann dann?
Lars [00:12:37] Ihr Leben in der Vergangenheit? Also wenn Sie zurückgucken und was Sie jetzt besser machen möchten?
Sabine [00:12:43] Ja, ja, das war damals so, dass man sich selbst an die erste Stelle setzt, zum Beispiel. Das war bei mir ein Thema, dass ich selber auch bestimme und Sachen noch umsetze. Wofür stehe ich morgens auf zum Beispiel, was ist mir wichtig, was will ich noch bewirken, was möchte ich machen. Das sind alles so Sachen, die man sich dann fragt. Und dass man sich Ziele formuliert, was will ich machen. Das hat mir sehr geholfen.
Lars [00:13:08] Haben Sie da Antworten gefunden, für sich Antworten gefunden?
Sabine [00:13:11] Ja, ja, mhm.